Pfarrei St. Wolfgang Regensburg

Pfarrei-Geschichte

 

“Nur, wer seine Wurzeln kennt, kann wachsen.“

Anselm Grün

Geschichte der Pfarrei St. Wolfgang

Den Wurzeln und der Geschichte unserer Pfarrei St. Wolfgang nachzuspüren lohnt sich, denn die Wiederentdeckung der Vergangenheit hilft, den eigenen Standort in der Gegenwart zu finden. Dieser Rückblick umfasst neben der Baugeschichte von Pfarrkirche, Pfarrheim und den Biographien der früheren Pfarrer auch die Beschreibung der Alltagsfrömmigkeit und des praktizierten Glaubens.

Kumpfmühl erwachte aus dem jahrhundertelangen Dornröschenschlaf im aufkommenden Industriezeitalter. Man könnte dazu sogar einen Stichtag nennen: Am 9. Dezember 1859 rollten erstmals zwei Dampfzüge gleichzeitig aus Nürnberg über Amberg und Schwandorf kommend und aus München über Landshut und Geiselhöring im neuen Bahnhof Regensburg ein: diese Eisenbahnstrecken waren endlich fertiggestellt. Zu diesen Städten brauchte man damals mit dem neuen Verkehrsmittel zwar noch fünf Stunden, doch das Zeitalter der langsamen, holprigen und tagelangen Postkutschenfahrten war endgültig vorbei. Die Anbindung an das Eisenbahnnetz brachte einen enormen Aufschwung. Für die zahlreichen Angestellten und Arbeiter der Eisenbahn waren Wohnungen nötig. Die Altstadt bot dafür kaum Platz. Es entstanden an der Fikentscherstraße die ersten großen Mietshäuser des Bauvereins Bayerischer Eisenbahner, südlich des Bahnhofs am Eisbuckel gelegen, im Volksmund damals auch Eisenbahnerviertel genannt. Viele weitere Industriezweige und Einrichtungen kamen hinzu. Aus dem kleinen Dorf Kumpfmühl erwuchs plötzlich ein Stadtteil, der einer neuen Pfarrei bedurfte.

Kumpfmühl vor der Pfarreigründung

Wenden wir uns zunächst dem Dorf Kumpfmühl zu in einer Zeit, als die katholische Pfarrei St. Wolfgang noch nicht bestand.

Das Bild ist eine Rarität, es stammt aus dem Jahre 1905. Deutlich ist vor dem Dom die Theresienkirche zu erkennen, davor (quer durch die Bildmitte verlaufend) die helle Umfassungsmauer des Schulgartens (heute Karl-Bauer-Park). Links eine Ziegelei, da Kumpfmühl auf Lehmboden steht (siehe die Straßenbezeichnung Hafnersteig). Diese Brennerei wurde vor dem Ersten Weltkrieg eingestellt. Die Bäume hinter dem hohen Schornstein am linken Bildrand stehen bis heute im sogenannten Kastaniengarten des Kindergartens St. Wolfgang I. Dahinter, auf der sanften Kuppe des Königsberges, wurde Jahrzehnte später die Wolfgangskirche erbaut.

Die Errichtung der Pfarrei 1921

Vor einhundert Jahren prägten zwei große Kirchen unsere Gegend vor den Toren Regensburgs.

Die ehrwürdige Klosterkirche St. Vitus mit ihren beiden achteckigen Türmen, sie ist über 1000 Jahre alt. Bis zur Säkularisation 1803 betreuten die Kartäuser mit ihrer Klosterpfarrei Karthaus-Prüll die Hofmark Kumpfmühl, dann kam das Dorf kurzzeitig zur Pfarrei Dechbetten. Als Kumpfmühl in die Stadt eingemeindet wurde, hat man den Ort dem Sprengel der Stadtpfarrei St. Rupert bei St. Emmeram zugeteilt, und zwar von 1816 bis 1921.

Im Jahre 1900 kam ein weiteres Gotteshaus hinzu. Die Unbeschuhten Karmeliten vom Alten Kornmarkt errichteten am Vitusbach ihre Klosterkirche St. Theresia, daneben ein Filialkloster mit Knabenseminar für den Ordensnachwuchs. St. Vitus und St. Theresia sind heute Nebenkirchen von St. Wolfgang und werden auf unserer Homepage eigens gewürdigt.

Damals bestand das Dorf Kumpfmühl aus etwa 60 Hausnummern, es gab einen Gasthof, eine Schmiede, eine Gendarmerie und eine Warenhandlung. Die Bewohner lebten zumeist als Handwerker oder Gärtner des Fürstlichen Hauses, arbeiteten in der Ökonomie des Klosters St. Vitus oder betrieben selbst eine Landwirtschaft. Diese Idylle wandelte sich mit der aufkommenden Industrie und mit dem Anschluss Regensburgs an das Eisenbahnnetz 1859 (siehe erster Artikel oben). Neue Berufe entstanden: der Fabrikarbeiter oder der Eisenbahner. Sie benötigten Wohnungen, um die sich der St. Wolfgangsbauverein annahm. Die Zeit für einen eigenen Pfarrbezirk schien reif, denn der Kirchweg über das Bahngelände nach St. Rupert war vielen zu weit. 1917 gründete sich ein eigener Kirchenbauverein, zum Patron war der hl. Wolfgang vorgesehen, sein Grab ist in St. Emmeram. Drei Jahre später wurde der Emmeramer Kooperator Johann Baptist Meister als Seelsorger nach Kumpfmühl entsandt.

Kumpfmühl zählte bereits 4210 Einwohner, als am 13. September 1921 Bischof Antonius von Henle die Pfarrei St. Wolfgang kanonisch errichtete, indem er Kumpfmühl aus dem Sprengel der Mutterpfarrei St. Emmeram löste. Bischof Antonius erwies sich als weitschauender Hirte. Sieben Pfarreien in Regensburg entstanden unter ihm, denn die Stadt breitete sich in alle Windrichtungen aus.

Die Notkirche 1922 – 1937

Expositus Meister kaufte noch im selben Jahr 1921 ein Grundstück auf der Höhe des Königsberges (heute Kirchplatz und Pfarrzentrum) und besorgte eine Militärfliegerhalle aus Grafenwöhr, die er als Provisorium aufstellen und zu einer Kirche ausschmücken ließ. Diese “Stadelkirche” weihte Bischof Antonius von Henle am 6. August 1922 ein.

Innenaufnahmen belegen, mit welchem Geschick und wie freundlich die Holzkirche St. Wolfgang eingerichtet war. Die dringlichste Sorge der neuen Pfarrei galt den Kindern. Bereits zwei Jahre nach Gründung, 1923, wurde bei der Kirche der erste Kindergarten unseres Stadtteils eröffnet. Das Haus stellte der St.-Wolfgangs-Bauverein zur Verfügung. Da das Geld während der großen Inflation nichts wert war, kam dies einer Schenkung gleich. Arme Schulschwestern zogen ein, die bis 2012 segensreich für unsere Kleinsten wirken.

Baumeister Dominikus Böhm aus Köln

Die Holzkirche erwies sich für den aufstrebenden Stadtteil als viel zu klein. Dr. Joseph Habbel, Kommerzienrat und Gründer Regensburger Zeitungen, Vorstand im St. Wolfgangsbauverein und Kirchenpfleger, lernte auf seinen Reisen den Kölner Architekten Professor Dominikus Böhm (1880 – 1955) kennen und bat ihn, die Pfarrkirche in seiner Heimat zu entwerfen. Die Wahl Böhms war ein Glücksfall, denn der Schöpfer der Wolfgangskirche gilt inzwischen als der führende Kirchenarchitekt des 20. Jahrhunderts in Deutschland. 50 Kirchen hat er zumeist im Rheinland errichtet, vielen weiteren Kirchen hat er baulich verändert. Böhm besaß den Mut, modern zu bauen, dennoch lassen sich in der Wolfgangskirche vielfältige Verbindungen zur mittelalterlichen Architektur Regensburgs erkennen. St. Wolfgang ist der letzte große Kirchenbau Böhms vor dem Zweiten Weltkrieg und eine Weiterentwicklung seiner Bauten in Essen, Lingen, Bocholt und Bremen. 

Die meisten seiner Kirchen wurden nach Kriegsschäden beim Wiederaufbau verändert, bei uns ist jedoch seine ursprüngliche Konzeption weitgehend beibehalten, darum zählt St. Wolfgang zu den Schlüsselbauten moderner Kirchenarchitektur.

1930 lagen erste Entwürfe für eine ovale Kirche vor. In einer Skizze von 1938 schließlich hatte der Baumeister den Altar ins Zentrum der Kirche gerückt. Diese Idee wurde weiterverfolgt, es war eine mutige Idee, wie sich noch zeigen wird. Ein Kirchenbau während der Zeit des Dritten Reiches bildete zudem eine Herausforderung, wie sich noch zeigen wird, er erforderte viel Gottvertrauen, Mut und Zielstrebigkeit aller Pfarrmitglieder. Der umfangreiche Briefverkehr im Pfarrarchiv zwischen Stadtpfarrer Meister und dem Kölner Baubüro belegt dies.

Dorniger Kirchenbau in der NS-Zeit 1938 – 1940

Pfarrer Meister fuhr nach Berlin, um die Baugenehmigung abzuholen: Ein Wunder war geschehen! Schon am Tag danach wurde die Notkirche abgerissen, um vollendete Tatsachen zu schaffen, bevor es sich die kirchenfeindlich eingestellte Baubehörde anders überlegt. Die beiden Nebenaltäre Hl. Maria und Herz Jesu schmücken heute die Kirche in Kareth. Am 26. Juni 1938 legte Weihbischof Dr. Johannes Höcht den Grundstein, er trägt einen Pfeiler des Kirchturms und ist der größte Stein der Kirchenanlage.

Unter Stadtpfarrer Johann Baptist Meister wurde St. Wolfgang erbaut. Pfarrer Meister kam 1889 in Erbendorf auf die Welt und wurde mit 31 Jahren als Expositus hierher entsandt, wo er in schwierigster Zeit Pfarrgemeinde und Pfarrkirche aufbaute. Sein silbernes Priesterjubiläum ist auf der Inschrift im Grundstein der Pfarrkirche verewigt. Mit 54 Jahren wurde er zum Dompfarrer berufen, viel zu früh starb er am 8. April 1946. Als Kirchenbauherr erhielt er seine letzte Ruhestätte unter dem nördlichen Bogen der Wolfgangskirche.

Mit wie vielen Opfern ist unsere Pfarrkirche errichtet worden! Die größte Schwierigkeit für Regierungsbaumeister Hans Beckers als Bauleiter bestand darin, die notwendigen Baumaterialien zu beschaffen. Vieles wurde für die Aufrüstung beschlagnahmt. Die vier Eisenträger, Metallsäulen von nur 80 Zentimetern Durchmesser, die die Hochwände tragen sollten und bereits vor der Kirche lagerten, ließ das Reichsministerium Görings für Rüstungszwecke wieder abtransportieren. Welch grazilen, leichten Charakter hätte die Wolfgangskirche durch die schlanken Säulen erhalten!

Hier kommt die Genialität des Baumeisters zum Vorschein: Er konstruierte massive Betonbögen, die die Hochwände tragen sollen und der betenden Gemeinde eine wohltuende Geborgenheit schenken. Bei der Renovierung 2005 zeigten sich die Folgen des Stahlmangels in den Ziegelwänden. Im Lauf der Zeit haben sich lange Risse gebildet, Eisenklammern mussten nachträglich eingesetzt werden.

Auch die Steinabgüsse der Hauptfiguren erinnern an diese schwere Zeit. Damals konnten Künstler für Kirchen nicht gewonnen werden. Der Kirchenbaumeister wählte mittelalterliche Vorbilder, die nach dem Ende der Diktatur gottlob nicht vorschnell aus St. Wolfgang entfernt wurden, sie dokumentieren eine Zeit der Kirche in Bedrängnis. Die Figuren an der Westwand, Maria und Johannes der Täufer, treten vor den am Kreuz erhöhten Herrn fürbittend für die Gemeinde ein. Diese Gruppe bildet eine sogenannte Deesis, wie sie zu jeder ostkirchlichen Bilderwand gehört.

Der Kriegsverlauf zwang die Bauleute an den “Westwall“, Priesterstudenten und Gymnasiasten mussten aushelfen. Ältere Priester erzählen von ihrem Einsatz auf den Gerüsten der Wolfgangskirche während der Semesterferien. An eine feierliche Kirchweihe war nicht zu denken. Während Hitler sich anschickte, die Benelux-Länder zu überfallen, segnete Pfarrer Meister am 3. März 1940 das fertig gestellte Gotteshaus und die erste hl. Messe konnte in St. Wolfgang stattfinden.

Verweilen wir nun bei der tiefen Symbolik der Wolfgangskirche, denn Kirchbauten sind Glaubenszeugnisse und sollen immer auch auf Gott verweisen, sie dienen nicht allein den Anforderungen einer Gemeinde. Dies ist an St. Wolfgang besonders deutlich zu erkennen.

Der sog. “Dom von Kumpfmühl”

Eine Würdigung der Wolfgangskirche ist nun an der Zeit. Die Kumpfmühler dürfen stolz auf ihre Pfarrkirche sein. Sie sind es auch, denn sie kann einige Superlative vorweisen. Über 150 Gotteshäuser wurden in der 34-jährigen Amtszeit Bischof Dr. Michael Buchbergers in der Diözese errichtet. Keine von ihnen hat jedoch derart neue architektonische Wege beschritten und ist auch nur annähernd so eigenwillig und klar ausgefallen wie St. Wolfgang. Ihre unverwechselbare Gestalt auf dem Königsberg dominiert über dem Stadtteil. Mit ihr wurde das historische Regensburg um ein Wahrzeichen aus der Neuzeit bereichert.

Das Äußere will mit dem Dom wetteifern, der die mittelalterliche Kirche repräsentiert. Beide stehen an markanten Punkten unserer Stadt, an den beiden Römerkastellen. St. Wolfgang ergänzt, was am Dom fehlt, ordnet sich aber zugleich unter. Die Kathedrale im Tal wirkt filigran, hochstrebend, besitzt ein Langhaus, jedoch ohne eine Fensterrose. St. Wolfgang am Berg hat glatte Wände und waagrechte Streifen, ein Zentralbau mit vier Rosetten. Sie will Kirche unserer Zeit sein.

“Ich baue, was ich glaube“, sagte Böhm. Seine geistigen Wurzeln gehen zurück auf den Religionsphilosophen Romano Guardini, der ihn mit seiner Christozentrik prägte. Böhm kannte auch die sogenannte Liturgische Bewegung, ausgehend um 1925 von Maria Laach bei Köln, die die Mitwirkung der Gemeinde entdeckte. In St. Wolfgang wird schon drei Jahrzehnte vor dem 2. Vatikanischen Konzil das Wort Gottes durch zwei Ambone betont, der Chor erhält eine herausragende Rolle, indem er im Altarraum Platz findet. Der Taufstein fristet kein Winkeldasein, sondern erhält Platz in einem Baptisterium wie in frühchristlicher Zeit. Die Gemeinde gruppiert sich im Halbkreis um den Altar zur Mitfeier. Der Altar selbst steht im Mittelpunkt, ein Novum im neuzeitlichen Kirchenbau.

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